Gemälde einer Frau mit schwarzem Haar vor blauem Grund
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Ausschnitt aus "Madame Soler" von Pablo Picasso

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Raubkunst-Streit um Picasso: "Belastung für Reputation Bayerns"

Vor 25 Jahren wurde die "Washingtoner Erklärung" zum Umgang mit Raubkunst verabschiedet. Das Problem: Sie ist rechtlich nicht bindend. Was das heißt, zeigt der Streit zwischen Bayern und den Erben von Picassos "Madame Soler", so Experte Willi Korte.

Über dieses Thema berichtet: kulturWelt am .

Am 3. Dezember 1998 verabschiedete eine internationale Konferenz in Washington "Grundsätze" zum Umgang mit Kunstwerken, die im Verdacht stehen, im Nationalsozialismus ihren Besitzern geraubt worden zu sein. Das festgeschriebene Ziel der von jüdischen Opferverbänden und mehr als 40 Staaten abgehaltenen Konferenz: eine "gerechte und faire Lösung" mit den Erben der betroffenen Kunstwerke zu finden. Auch Deutschland schloss sich dieser Selbstverpflichtung der "Washingtoner Erklärung" an.

Appell an den guten Willen

Teilnehmer der Konferenz war 1998 der Jurist und Provenienzforscher Willi Korte. Wie viele andere Expertinnen und Experten macht auch er heute als den größten Schwachpunkt der "Washingtoner Erklärung" fest, dass sie nicht rechtsverbindlich ist: "Es hängt in hohem Maße von der Bereitwilligkeit derjenigen ab, die im Besitz dieser Kulturgüter sind", sagte Korte dem BR, ob es überhaupt zu einer Befassung mit einem strittigen Fall kommt. Und dann vielleicht sogar zu einer Rückgabe.

Der Fall "Madame Soler"

Ein besonders unrühmliches Beispiel dafür ist für Willi Korte die Debatte um das Picasso-Gemälde "Madame Soler". Das Porträt aus dem Jahr 1903 gehört heute den Bayerischen Staatsgemäldesammlungen und ist eines der bedeutendsten Werke der Pinakothek der Moderne in München. Die Anwälte der Erben des jüdischen Bankiers Paul von Mendelssohn-Bartholdy fordern seit 2009, dass eine unabhängige Kommission die Rückgabe des Werkes von Pablo Picasso prüfen solle. Ihrer Darstellung nach gehört es im Sinne der Washingtoner Erklärung zur Kategorie Raubkunst – zu den Werken also, die die verfolgten jüdischen Sammler unter Zwang aus dem Land schaffen oder verkaufen mussten.

Die Bayerischen Staatsgemäldesammlungen hatten das Gemälde 1964 von dem Kunsthändler Justin K. Thannhauser gekauft. Besitzer war zuvor Paul von Mendelssohn-Bartholdy, der im Mai 1935 starb, nachdem er im NS-Staat zahlreiche Repressalien zu erleiden hatte. Seit 2003 behandelt in Deutschland eine Beratende Kommission genau solche Fälle NS-verfolgungsbedingt entzogener Kulturgüter. Sie soll nach der Washingtoner Selbstverpflichtung diese häufig verjährten Fälle klären. Allerdings wird sie nur tätig, wenn beide Parteien dem zustimmen – und genau diese Zustimmung verweigern die Staatsgemäldesammlungen und der Freistaat Bayern im Fall von "Madame Soler".

Boykottiert Bayern das Verfahren?

Die Begründung: Es handele sich bei dem Picasso-Gemälde nicht um einen Raubkunstfall. Das habe, so betonte wiederholt auch Kunstminister Markus Blume, die Provenienzforschung ergeben. Eine Argumentation, der Kulturstaatsministerin Claudia Roth nicht folgen will: Sie forderte den Freistaat im Frühjahr auf, der Anrufung der Beratenden Kommission zuzustimmen. Auch Willi Korte kritisiert die Position Bayerns: Wenn man sich in Bayern so sicher sei, dass es sich bei dem Picasso-Gemälde nicht um Raubkunst handele, dann könne man doch die Kommission einschalten. Aus internationaler Sicht, so Korte, sei dieser Fall eine "Belastung nicht nur für die Reputation Bayerns, sondern auch für die Reputation des ganzen Landes".

Ähnlich sieht es Hans-Jürgen Papier, ehemaliger Präsident des Bundesverfassungsgerichts und Vorsitzender der "Beratenden Kommission" für Raubkunst. Er betont, gerade für strittige Fälle sei das Verfahren vor der Kommission schließlich vorgesehen: "Die Kommission kann überhaupt nur angerufen und mit dem Fall befasst werden, wenn die kulturgutbewahrende Stelle der Auffassung ist, dass es keine Raubkunst ist", so Papier gegenüber dem BR. Andernfalls hätte man ja fraglos restituieren müssen. Für Papier vermittelt das Vorgehen Bayerns den Eindruck, die Kommission solle schlicht boykottiert werden.

Zu wenig Transparenz

Vor 25 Jahren hätten auch Fachleute die Dimension der ganzen Restitutionsfrage unterschätzt, hält Willi Korte im Rückblick fest. Museen seien damals davon ausgegangen, es gehe um wenige Bilder, die man recherchieren müsse. Ein Irrtum, wie man inzwischen weiß, wobei, so Korte, nicht einmal für Deutschland klar sei, wie viele Ansprüche es zum Beispiel gegenüber Museen gebe: "Diese von allen immer eingeforderte Transparenz, die funktioniert da leider noch gar nicht."

Dass die Beratende Kommission, 2003 von Bund, Ländern und Kommunen geschaffen, überhaupt nur tätig werden kann, wenn alle Beteiligten zustimmen, wird immer wieder kritisiert. Die Jewish Claims Conference etwa fordert schon länger ein einseitiges Anrufungsrecht für Erben verfolgter und beraubter Eigentümer. Für Hans-Jürgen Papier ist ganz grundsätzlich klar: "Wir arbeiten in Deutschland seit 20 Jahren, was die Umsetzung des Washingtoner Abkommens anlangt, mit den Regeln der Moral und des politischen Versprechens, aber nicht mit Gesetz und Recht. Es fehlt eine gesetzliche Regelung, die die Restitution nicht unbedingt entzogene Kulturgüter regelt."

25 Jahre Washingtoner Erklärung, 20 Jahre Beratende Kommission in Deutschland, zehn Jahre Fall Gurlitt: "Die Jahrestage häufen sich", sagt Raubkunstexperte Willi Korte. Zugleich hänge "als dunkle Wolke" der Streitfall um "Madame Soler" über dem Thema Restitution. Ein Fall, bei dem sich einfach nichts bewege.

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